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Alleingänge: E-Books stellen das Modell Verlag in Frage

Foto: Frank Rumpenhorst/ dpa

Die E-Book-Frage Wer braucht noch einen Verlag?

E-Books stellen Rolle und Geschäftsmodell von Verlagen in Frage. Autoren wittern ihre Chance, auf eigene Rechnung mehr zu verdienen. Aus Kundensicht ist das erfreulich: Die E-Book-Kasse klingelt vor allem dann, wenn der Preis entsprechend niedrig ist.

Wenn es nach Kristian Madsen geht, wird "der Printmarkt über die nächsten fünf Jahre um 50 Prozent schrumpfen". Er meint den Buchmarkt, und die äußerst gewagte Prognose gründet er auf eigene Erfahrungen - und vielleicht auch Wünsche: Mehr als drei Millionen E-Books will seine Firma Bookboon.de  in den letzten zwölf Monaten in Deutschland verteilt haben.

Wohlgemerkt: verteilt, nicht verkauft. Denn Bookboons Geschäftsmodell setzt auf den kostenlosen Download von PDF-E-Books, die durch klassische Anzeigen refinanziert werden. Kein Zweifel, was nichts kostet, wird auch genutzt im Internet - auch, wenn Bookboons exorbitant hohe Abrufzahlen wenig plausibel klingen: zu dünn scheint das Angebot. Überprüfbar sind sie so wenig wie die kärglichen Angaben von Amazon. In den USA, meldete der weltweit erfolgreichste Online-Buchverkäufer im Mai, verkaufe Amazon inzwischen mehr E-Books als gedruckte Werke - was auch immer das konkret heißen mag.

In Deutschland öffnete Amazon seinen Kindle-Shop  erst im April 2011 und läutete damit das E-Book-Zeitalter auch hierzulande erst richtig ein. Doch anders als in den USA stürzten sich die Kunden nicht gleich in Massen auf E-Reader: Dort ist der Kindle bei Amazon das meistverkaufte Elektronikgerät überhaupt. Hierzulande soll Amazon Branchengerüchten zufolge 5000 Stück im Monat absetzen, wenn es hoch kommt - offizielle Zahlen gibt es nicht. Selbst das wäre schon viel.

Der Markt ist noch ein Märktchen

Denn inzwischen haben E-Reader ja Konkurrenz bekommen durch Tablet-PC, auf denen man auch passabel lesen kann - Amazon hat darauf reagiert. Zudem beharren hiesige Verlage und der Handel darauf, dass E-Books nicht billiger sein sollen als gedruckte Bücher. In den Verkaufs-Charts dominieren wohl auch deshalb preiswertere Trivial-Schinken, gemeinfreie Klassiker-Ausgaben für kleines Geld - und auch E-Books aus dem Selbstverlag.

Denn im E-Book-Handel kann jeder Verlag spielen. Wolfgang Tischer, Betreiber von Literaturcafe.de , hat das getestet: Sein E-Book "Amazon Kindle: Eigene E-Books erstellen und verkaufen"  ist ein Experiment, mit dem er die Direktvermarktung erproben wollte und die Mechanismen des E-Book-Marktes austesten . Seit er die erste Auflage am 10. Mai 2011 veröffentlichte, bewegt sich der Titel normalerweise zwischen den Plätzen 20 und 30 der Kindle-Verkaufs-Charts.

Also überraschend hoch für ein so spezialisiertes Fachbüchlein, aber es gehört ja auch noch nicht viel dazu: Bis zum 17. Juni, 10 Uhr, verkaufte der Kindle-Bestseller-Autor Tischer insgesamt 564 Exemplare, was einem Verdienst von rund 500 Euro entsprechen dürfte - vor Steuern. Tischer: "Es reicht, wenn man zehn am Tag verkauft, um in den Top 20 zu landen."

Dominiert werden die Kindle-Charts  derzeit von einem Manual des "Focus"-Autors Matthias Matting, von dem er einige mehr absetzen dürfte: "Kindle - das inoffizielle Handbuch. Anleitung, Tipps und Tricks." Was könnte deutlicher machen, wie sehr der E-Book-Markt noch in den Kinderschuhen steckt, als dass es eine Gebrauchsanweisung für das meistverkaufte Lesegerät auf Platz 1 der Verkaufscharts schafft?

Es ist eben die Stunde der Pioniere, immer noch. Wolfgang Tischer setzt sein Experiment fort. Am 31. Mai ließ er bereits eine zweite, deutlich erweiterte Auflage seines Selbstverlagsratgebers folgen, auch die dritte ist bereits in der Mache.

Verlage sind professionell, aber viel zu langsam

Diese für den Buchmarkt völlig unbekannte Geschwindigkeit könnte sich zu einem Wesensmerkmal des E-Book-Markts entwickeln, der die Buchverlage zusätzlich unter Druck bringt. Buchverlage bewegen sich mit wanderdünenhafter Geschwindigkeit: Die Produktion eines Buches dauert oft ein Jahr und mehr. Selbstverleger, berichtet Tobias Moorstedt im Hyperland-Blog des ZDF , prügeln ein aktuelles "Sachbuch" hingegen schon mal 144 Stunden nach dem Ereignis auf den Kindle-Markt. Buchverleger mögen da auf Qualitäten verweisen, Leser aber wissen auch Geschwindigkeit zu schätzen.

Und Nähe zum Autor. Ähnlich wie beim Online-Publishing stellt Tischer einen lebhaften, für die Buchszene ebenfalls völlig unüblichen Kommunikationsfluss zwischen Autor und Leser fest: "Die Updates" seines Ratgebers "beruhen auf Fragen der Leser". Die inzwischen erfolgte Preiserhöhung von 99 Cent auf 2,99 Euro ist dem inzwischen gestiegenen Aufwand und Umfang geschuldet, ist aber auch Teil des Experiments. Tischer: "Ich kann nicht feststellen, dass der Preis irgendeinen Einfluss auf den Verkauf hatte."

Vielleicht, weil eine Preismarge um drei Euro noch innerhalb der Toleranzen liegt? Was deutlich darüber hinaus gehe, glaubt jedenfalls der Bestseller-Autor Akif Pirinçci, sei auf jeden Fall zu teuer. Deshalb setzt er bei der Vermarktung seiner Bücher zum einen auf einen kleinen Preis, zum anderen vorzugsweise auf den Selbstverlag.

"Wer einen Namen hat", sagt Pirinçci, "hat da gute Chancen."

Akif Pirinçci hat einen Namen - und er hat auch einen ganz klassischen Vertrag mit einem Buchverlag, der auch die meisten seiner Werke als E-Book anbietet. Aber eben nicht alle, denn einige, an denen er die E-Rechte vor Jahren nicht abgetreten hatte, will Pirinçci lieber selbst vermarkten - ihn lockt auch eine Provision von im Buchmarkt unerreichten 70 Prozent.

Dabei sucht er durchaus keinen Streit. Dass er Anfang Juni "Felidae", das Buch, mit dem 1989 seine Bestseller-Autoren-Karriere begann, im Selbstverlag auf Amazons Kindle-Plattform veröffentlichte , solle man nicht als virtuellen Fehdehandschuh verstehen, sagt er. Er hatte schließlich vorher gefragt. Und Klaus Eck, Verleger und Geschäftsführer der Verlagsgruppe Random House, hatte letztlich sein Placet gegeben: Die Klärung der Rechte ergab, dass Pirinçci die E-Book-Rechte hielt.

Lieber ohne Verlag - Trend zur Selbstvermarktung?

Daraus ergab sich eine exotische Situation, die die tiefen Umwälzungen andeutet, die der Verlagslandschaft bevorstehen: Ein renommierter Autor verzichtet auf die Rückendeckung seines großen Verlages und setzt freiwillig auf Selbstvermarktung. Auch für Pirinçci ist das ein Experiment. Er weiß, dass sich im Kindle-Shop nichts zufällig verkauft, dort niemand über ein E-Book stolpert. Chancen hat derjenige, der weiß, wie er sein Produkt bekannt macht oder über den berichtet wird. Zurzeit liegt "Felidae" im Kindle-Ranking auf Platz 3171. Schon dieser Artikel dürfte das zumindest kurzfristig merklich ändern - so läuft das.

Zumal Pirinçci weiß, wie er die Sache angehen muss. Im Kindle-Shop stehen nun E-Books von ihm, die Random House dort anbietet, neben solchen, die er selbst vermarktet - zu einem deutlich niedrigeren Preis. "Felidae" etwa kostet 3,91 Euro als Download, die billigste Paperback-Edition des Buches kostet derweil 8,95 Euro.

Und die Buchpreisbindung? Die Verlage haben schließlich abgemacht, E-Books nicht günstiger als die Papierausgaben zu machen. Gelte hier nicht, sagt Akif Pirinçci, weil seine Kindle-Edition von "Felidae" ja ein anderes Produkt sei, eine "Sonderedition": Ergänzt um ein Nachwort "zur Entstehungsgeschichte des Buches und der späteren Verfilmung mit diversen Fotos aus dem damaligen Privatleben von Akif Pirinçci. Auch das Vorbild für Francis, ein Kater namens Cujo, wird in Bildern gewürdigt" (Werbetext bei Amazon).

Mehrwerte dienen hier also als Begründung für die Preis-Reduktion. Man meint, von fern Verlegerzähne knirschen zu hören.

Unter denen wird noch diskutiert, wie verhindert werden soll, dass elektronisches Publizieren den Buchverkauf kannibalisiert - die größte Sorge der Buchbranche. Vorerst setzen Deutschlands Verlage auf Preise für E-Books, die wirken, als sollten sie potentielle Käufer abschrecken. Denn noch haben die Verlage für sich nicht ausgemacht, wie es weitergehen soll mit ihrem Geschäft, sollte das E-Book wirklich zu einem marktrelevanten Faktor werden. "Die müssen sich jetzt ganz neu erfinden", sagt Akif Pirinçci.

Autoren wollen Geld sehen für neue E-Ausgaben

Dass das so ist und irgendwann den Kern des Geschäftes bedrohen mag, bekam der international aufgestellte Verlag Random House im letzten Sommer in den USA zu spüren. Andrew Wylie, einer der einflussreichsten Literaturagenten der Welt, suchte die Konfrontation mit den US-Verlagen, weil die seinen über 700 Autoren nicht genügend Tantiemen für die E-Rechte zahlten, wie er meinte. Er drohte, deren Werke selbst zu verlegen - der Streit endete im August in einer außergerichtlichen Einigung, mit der angeblich alle Parteien zufrieden waren. Auch in Deutschland sehen viele Autoren Spielraum für Verhandlungen, obwohl die Rechtslage hier grundsätzlich eine andere ist.

Im Juli 2007 schuf der Gesetzgeber mit dem Zweiten Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft  hier Klarheit, wenn man so will. Autoren, die in ihren Verträgen einst "allen Nutzungsarten" zugestimmt hatten und den neuen, zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses " unbekannten Nutzungsarten " nicht bis zum Stichtag 31. Dezember 2008 widersprachen, traten diese Rechte quasi pauschal an ihre Verlage ab. Alle neuen Verträge beinhalten auch die Abtretung künftiger Nutzungsarten, wenn man das nicht verweigert - und welcher junge Autor kann sich das schon herausnehmen. Es ist eine Praxis, die deutlich zugunsten der Verlage geht.

Aber stärkt das deren Position? Mittelfristig dürfte es etablierte Autoren reizen, die E-Vermarktung lieber selbst zu übernehmen. Und kurzfristig mag es zum Hocking-Phänomen führen: Newcomer und Hobby-Schreiber werden ihr Glück mit dem E-Book suchen, statt bei Verlagen Klinken zu putzen. Noch vor Ende des Jahres, glaubt Akif Pirinçci, könnten wir auch in Deutschland einen Twilight-Klon, eine Teenie-Horror-Romanze semiprofessioneller Strickart als Bestseller zu sehen bekommen. Auch Wolfgang Tischer tippt darauf, dass neben Erotik auch hierzulande Horror zum E-Bestseller taugt.

Er hatte da schon Andreas Stetter im Blick. Dessen Selbstverlagshorror schaffte es kurzzeitig in die Top 20 der Kindle-Charts. Trotz guter Leser-Rezensionen wurde aus der in Deutschland angesiedelten Weltuntergangsgeschichte , in der unter anderem Terroristen Zombies als Waffe einsetzen, noch kein Bestseller. Die professionelleren Zombies findet man eben doch noch in regulären Buchverlagen.